SEHNSUCHT & BENIMM
Es beginnt mit DURST. Das Wort liegt in der Mitte, wie wenn es schon immer da gelegen hätte. „Na, wenn das kein Anfang ist.“ Ich schweige. Ich mag es nicht, beim Spielen zu reden. Sie schon.
BUTT. Ich benutze ihr T. „Ahhh“, macht sie und ich weiss, dass jetzt ein besonders schönes oder punktereiches Wort folgen muss. NEKTAR mit Blankostein, NEKTR. TANG, erwidere ich. Dann folgt TUN,
TAU. „Etwas feucht sieht das aus bis jetzt, viele Worte, die etwas mit Wasser haben, gäbe ein schönes Gedicht: mmmhh... hat der BUTT DURST, trinkt er zum TANG TAU & NEKTAR.“ Ich beneide sie
um ihre lebhafte Fantasie, und ich hasse es, dass sie immer damit angibt. Einen Moment lang bereue ich es, sie eingeladen zu haben. In meinem Zustand.
Sie gluckst, sagt: „Ich mach es billig diesmal“, und legt IG hinter DURST; und fügt an: „Etwas zu trinken könntest du aber schon anbieten, oder, ich bin etwas DURSTIG?“ Zwischen BERAET, LYRA und
LITZE mache ich Tee, und sie frotzelt, dass sie mir ein so seltenes Wort wie LITZE gar nicht zugetraut hätte. Und als ich den Tee auf den Tisch stelle, „du glaubst es nicht, das passt doch genau,
ich bringe tatsächlich dasselbe Wort nochmals,“ sie legt DURST, diesmal senkrecht. Irgendwie berührt mich das Wort, scheint mehr zu bedeuten als nur DURST. Geht es nicht vielleicht darum, dass
ich DURST habe, DURST nach etwas, was mir gerade mal fehlt im Leben? Ich lege SEHN, Beugungsformen sind erlaubt; sie legt IQ, eigentlich eine Abkürzung (die nicht erlaubt ist), aber ich schweige.
Bin aber doch so abgelenkt, dass mir lange nichts einfällt. Was mache ich denn aus S C E Ü D D E. Schliesslich baue ich an das Wort NEKTAR das Wort ECHSE an (das H von SEHN umklammernd). Sie wird
es nicht schlucken, das weiss ich. „Aber... aber nein... das gibt’s doch nicht, was bitte ist denn eine NEKTARECHSE, hä?“ Ich bestehe auf NEKTARECHSE, argumentiere mit der Artenvielfalt. Wenn es
Smaragdeidechsen gibt, warum dann nicht auch eine NEKTARECHSE? Sie besteht darauf zu googeln. Google findet unter NEKTARECHSE natürlich – nichts, nicht einmal einen einzigen winzigen Eintrag.
Unter NEKTAR Leerschlag ECHSE findet Google eine Menge, natürlich aber nicht die exakte Bezeich-nung. Tannzapfenechse, Krokodilhöckerechse, Plattgürtelechse, aber keine NEKTARECHSE. Wenigstens
ernähren sie sich teilweise von Nektar, findet Google heraus. Immerhin – sie gibt nach und lässt mir mein schönes Wort, wohl auch, weil es gar nicht so viele Punkte gibt – wie grosszügig. Sie
verliert nicht gern, gehört zu der Sorte von Menschen, die ich nie so richtig verstanden habe. Wie kann man sich so in ein Spiel hineinsteigern? Aber welche Sorte Menschen hab ich denn schon so
richtig verstanden? Jetzt gerade verstehe ich ja nicht mal mich selbst.
Sie fügt nun auch ein Wort an: SEE vor TANG, SEETANG. Eine Zeitlang sind wir beide vertieft und still. Ich SÜD, sie VERS, ich JEDEN, sie OASE, ich ORA („du wieder mit deinem Latein“ murmelt sie),
sie GEIL, ich LÄNGE (beide schmunzeln), sie FOX („heisst doch Fuchs auf englisch, oder?“), ich KIEL.
Dann geschieht lange nichts, sie brütet. Ich schlage vor, ihr zu helfen, indem sie mir ihre Buchstaben zeigt, sie weigert sich, hält sogar die Hand schützend über ihr Buchstabenbänkchen. Wie
immer, stur. Ich fände das spannend, gemeinsam über mögliche Wörter nachzudenken, würde sogar völlig regelfern Buchstaben tauschen, um uns gegenseitig aus der Klemme zu helfen. Sie nicht. „Bin
selber gescheit“, blafft sie mich an, als ich es wage, ein zweites Mal nach-zufragen, und kaut leise Wortkombinationen wie Mantras: „OOOOOFU... UUUUUMK... NUUUUO... TOOOOOM...“. Ihr alter
Minderwertigkeits-komplex, nicht intelligent genug zu sein, und meiner, mich immer nützlich machen zu müssen, damit man mich liebt, treffen sich gelegentlich in explosiver Weise. Und mir fällt
ein, wie ich seit Tagen mit einer grossen Müdigkeit kämpfe und noch mehr mit meinem eigenen Anspruch, etwas Sinnvolles aus meinen freien Tagen zu machen. Und jeden Tag scheitere ich wieder vor
meinem eigenen strengen Urteil. An schönen Frühlingstagen ist mein schlechtes Gewissen zum Schneiden dick, wenn ich nicht nach draussen gehe. Ich weiss, dass ich zu viel gearbeitet habe und dann
manchmal in diesen Zustand gerate, wo ich alles auf die Goldwaage lege und nichts für gut genug halte, gewogen und zu leicht befunden sozusagen. Mich selber für unnütz. Ich kann darüber nicht
reden, auch mit ihr nicht, so lange wir uns kennen und lieben.
Spiel ist Zeitvertreib, ein ausgesprochen hässliches Wort, das nach Nutzlosigkeit stinkt. Jetzt weiss ich auch, weshalb mich manche der Worte heute so anrühren. DURST, das passt. Aber wo ist OASE, NEKTAR, TAU?
Sie seufzt. Und legt UFO vor das Wort SEHN. „Das gibt dann UFO SEHN, etwas unkonventionell, das gebe ich zu, aber ich hab deine NEKTARECHSE auch gelten lassen, nicht?“ Nur noch wenige
Buchstaben bleiben übrig. Sie besteht darauf, die Punkte zusammenzuzählen, damit sie sich auf den Endspurt vorbereiten kann, wie sie sagt. Ich 135, sie 132, also Kopf an Kopf. Doch nun geht es
Schlag auf Schlag. Ich drapiere BENIMM und mache eine Menge Punkte (36), weil BENIMM viele Buchstaben hat und das auch noch auf Feldern mit doppelten Buchstabenwerten und doppelten Wortwerten.
Wie gewichtig Wörter sein können, die so lapidar sind. Wann habe ich mich das letzte Mal mit BENIMM auseinandergesetzt? Sie lässt sich nicht lumpen. EMU, kurz, aber dreifacher Wortwert (15
Punkte). Es folgt AUCH und ihrem Lächeln sehe ich an, dass sie siegesgewiss ist: „Ich schlage dir WUNDEN, haha!“. WUNDEN, dreifacher Wortwert, 27 Punkte. Nun geht es nur noch um Zahlen, wie im
richtigen Leben. Ich lege NEHM und hätte es am liebsten zurückgenommen, als ich sehe, wie unverschämt viele Punkte (30) es gibt. Mein Spiel ist nun wohl zu Ende, mir bleibt bloss ein einsames P
übrig. Seltsam, gerade der Buchstabe P, der nur ein einziges Mal vorkommt im Spiel. Ihr Gesicht wird spitz, ihre Lippen bewegen sich – sie rechnet stumm. Ich werde wohl gewinnen, das ist jetzt
ganz dumm gegangen. Ich verliere ganz gern mal zwi-schendurch, um den Frieden zu wahren. Sie quält sich ab mit ihren letzten Buchstaben S S I N H Ö, sie will keinesfalls aufgeben. Ihr
Gesicht ist schön jetzt, trotz allem, gerötet, aufgeregt, ich kann in diesem Gesicht lesen. Jetzt kippt es, ein Ruck geht durch ihren Körper, sie steht auf, legt schwungvoll schlampig ihr letztes
Wort hin und sagt: „Da hast du es, du!“
SIMS steht da, schön: 21 Punkte, reicht aber nicht. Ich habe gewonnen. SIMS, und schon steht sie da, am FensterSIMS des Balkons und raucht eine Wut-Zigarette. Ich sehe, wie sie flucht, aber ich
höre es nicht. Sie weiss das, und sie weiss auch, dass ich mich nicht freue, dass ich gewonnen habe. Das nützt uns beiden nichts.
Ich sitze da, lasse den Blick über die Wörter gleiten und denke nach, ob es sinnvoll ist, sich über LITZE, VERS, KIEL, LYRA, LÄNGE, WUNDEN den Kopf zu zerbrechen. Ob es sinnvoll, nützlich genug
ist? Diese Wörter wieder einmal richtig ernst, also beim Wort nehmen? Und zum ersten Mal wird mir heute ein wenig leichter, da mir einfällt, dass das Wort NEKTARECHSE ganz sicher sinnvoll,
nützlich und schön ist. Schon nur deshalb, weil dieses Wort nun erfunden ist, es ist da.
Sie raucht unterdessen schon die zweite Zigarette. Spätestens nach der dritten wird sie wieder zurückkommen, die Wut naturgemäss etwas verraucht, und dann wird es nur zwei Möglichkeiten geben:
Dass sie ohne weiteren Kommentar in den Mantel schlüpft und mit einem knappen Ciao verschwindet oder - Revanche!
(2008-2012)
zürich, strasse
der kirschbaum blüht
und es fliegt seine krone stolz
in die zange des krans
platz machen für keine kirsche
ZURICH, STREET
the cherry tree blooms
and it flies its proud crown
into the pincers of the crane
making room for not one cherry
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innsbruck, bahnhof
(für Gert Jonke)
an einem dieser heissen sommertage
sagt ein mann zu seiner frau als der zug einfährt
wo ist denn nun der anfang?
am ende?
INNSBRUCK, RAILWAY STATION
(for Gert Jonke)
on one of these so-called summer days
a man says to his wife as the train pulls in
so where’s the beginning now?
at the end?
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innsbruck, café
(szene mit milch)
ist der kleine braune
nun schwarz?
ist der kleine schwarze
nun braun?
oder wird er erst braun als mélange
oder doch lieber macchiato?
verlängert?
wir drehen die tassen im café central
politisch korrekt auf beide seiten
INNSBRUCK, CAFÉ
(SCENE WITH MILK)
is the little brown one
now black?
is the little black one
now brown?
or will it become brown not until mélange
or rather a macchiato also?
a long one?
we turn over our cups in the café central
politically correct on both sides
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innsbruck, zuhause
drei wochen lang feriengast
ein kater der sich tag für tag
immer mehr an mein herz schmiegt
als er abgeholt wird nimmt er es mit
an seinen weichen weissen kragen geheftet
INNSBRUCK, HOME
three weeks long vacation guest
a cat that day by day
snuggles himself more and more at my heart
as he gets picked up he takes it along
in his soft white collar attached
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nach so einem tag
nach so einem tag, dachte ich mir, als ich mit dem fahrrad nach hause fuhr, nach so einem tag muss ich aufschreiben,
...dass ich eine ganz kleine alte frau sah, die mitten in der halle des zürcher hauptbahnhofs stand, die schultern hängend, und lange auf einen gekritzelten zettel in ihrer hand starrte.
...dass ich neben einem sehr blonden jungen mann im zug sass, der, die augen geschlossen, kopfhörer im ohr, innig seine umhängetasche liebkoste, im rhythmus welcher musik.
...dass mir die freundin eine geschichte erzählte, von einem nasenring, einer frau und einem trottel, die mich so zum lachen brachte, dass ich weinte.
...dass in der trambahn spät nachts ein kahler mann und eine brunette frau die köpfe so zusammelegten, dass es von hinten gesehen aussah, wie wenn er ihre haare stehlen würde.
und dass ich sehr tief schlief, nachdem ich dies alles, vom fahrrad gestiegen, niedergeschrieben hatte.
AFTER SUCH A DAY
after such a day, I thought to myself, as I was traveling
home on my bicycle, after such a day, I must write it down,
…that I saw a really little old lady, who stood in the entrance to the Zurich main train station, her shoulders sagging, and for a long time she stared at a scribbled-on slip of paper.
…that I sat on the train near a very blond young man, who, eyes closed, headset in his ear, caressed his shoulder-bag tenderly, in the rhythm of what sound.
…that my girlfriend told me a story about a nose-ring, a woman and an idiot that made me laugh so much I cried.
…that in the tram late at night a bald man’s and a brunette woman’s, heads were so together that, seeing them from behind was as if he’d stolen her hair.
and that I slept very soundly I’d written all this down, as soon I dismount the bicycle.
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gemeinsam
frühmorgens keiner weiss vom anderen
drei männer in gerippten unterhemden stehen
an fenstern des gleichen wohnblocks
alle drei schauen in einen kalten tag
und prosten ihm mit wolken vor dem mund zu
COMMON
early in the morning no one knows from the other
three men in ribbed undershirts stand
at the windows of a the same block of flats
all three look into a cold day
and prost it with clouds in front of their mouths
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federball
die leichtigkeit in unsere mitte nehmen
ich zu dir
du zu mir zurück
wir spielen uns das blau in die augen
SHUTTLECOCK
the easiness in our midst taking
me to you
you back to me
we play us the blue in the eyes
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bei den lächelnden füchsinnen
flankiert von priestern die darauf achten
dass alle genau gleich viel zeit haben vor dem schrein
um zweimal zu klatschen sich etwas zu wünschen
und dann weiterzugehen ins neue Jahr
BY THE SMILING VIXENS
flanked by priests who thereupon are careful
that all have precisely equal time in front oft the shrine
to clap their hands twice and make a wish
and then going further into the new year
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yuzu - Orange
I
mandarinenduft in der bahnstation
fast leer sogar die ritzen der fliesen werden
eifrig geputzt
II
gehälftete orangen so in die astgabeln gelegt
dass sie grünlingen ein festtagsmahl sind
III
ein parfum zwischen zitroneorangenpampelmuse
erfüllt den raum als ich den koffer öffne
da liegen sie – yuzu -heimgekommen mit japan
YUZU - ORANGE
I
tangerine fragrance in the railway station
nearly empty even the scratches of the tiles become
eagerly cleaned
II
halved oranges layed in the branch-forkings
so that greenfinches have their feast
III
a perfume between citronorangegrapefruit
fills the space as I open the bag
there they lie - yuzu - coming home with japan
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Fasnachts-Miniatur
der kleine stolz der männer
mit der trommel
und der tod
ihr tambourmajor
schreitet beherzt vorne weg.
CARNIVAL MINIATURE
the tiny pride of the men
with the drum
and death
their drum-major
striding heartily ahead
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Für Anna
jetzt
wie sie mitten im Leben steht
und sich doch aufs Gehen vorbereitet
wie ich an ihr meinen Tod zu ahnen beginne
jetzt
wie wir beide in der Thymianwiese stehen
und lachen
jetzt
FOR ANNA
now
as she stands in the thick of life
and yet prepares herself for passing
as I begin to foresee my own death in her
now
as we’re both standing in a meadow of thyme
and laughing
now
© Magdalena Kauz (abgedruckt in der Tiroler Tageszeitung vom 26.3.2007)