Entwürfe Nr. 57

Erschienen In der Literaturzeitschrift entwürfe zum thema "Durst": Der Text "Beim Wort genommen" oder "SEHNSUCHT & BENIMM".  das Scrabble, das dem Text zugrunde liegt, ist das Abgebildete.

Ausserdem ebenfalls in Entwürfe: Rezension zum Buch "der Hut, das Wasser, die Liebe" von Lea Müller.

SEHNSUCHT & BENIMM


Es beginnt mit DURST. Das Wort liegt in der Mitte, wie wenn es schon immer da gelegen hätte. „Na, wenn das kein Anfang ist.“ Ich schweige. Ich mag es nicht, beim Spielen zu reden. Sie schon. BUTT. Ich benutze ihr T. „Ahhh“, macht sie und ich weiss, dass jetzt ein besonders schönes oder punktereiches Wort folgen muss. NEKTAR mit Blankostein, NEKTR. TANG, erwidere ich. Dann folgt TUN, TAU. „Etwas feucht sieht das aus bis jetzt, viele Worte, die etwas mit Wasser haben, gäbe ein schönes Gedicht: mmmhh... hat der BUTT DURST, trinkt er zum TANG TAU & NEKTAR.“ Ich beneide sie um ihre lebhafte Fantasie, und ich hasse es, dass sie immer damit angibt. Einen Moment lang bereue ich es, sie eingeladen zu haben. In meinem Zustand.


Sie gluckst, sagt: „Ich mach es billig diesmal“, und legt IG hinter DURST; und fügt an: „Etwas zu trinken könntest du aber schon anbieten, oder, ich bin etwas DURSTIG?“ Zwischen BERAET, LYRA und LITZE mache ich Tee, und sie frotzelt, dass sie mir ein so seltenes Wort wie LITZE gar nicht zugetraut hätte. Und als ich den Tee auf den Tisch stelle, „du glaubst es nicht, das passt doch genau, ich bringe tatsächlich dasselbe Wort nochmals,“ sie legt DURST, diesmal senkrecht. Irgendwie berührt mich das Wort, scheint mehr zu bedeuten als nur DURST. Geht es nicht vielleicht darum, dass ich DURST habe, DURST nach etwas, was mir gerade mal fehlt im Leben? Ich lege SEHN, Beugungsformen sind erlaubt; sie legt IQ, eigentlich eine Abkürzung (die nicht erlaubt ist), aber ich schweige. Bin aber doch so abgelenkt, dass mir lange nichts einfällt. Was mache ich denn aus S C E Ü D D E. Schliesslich baue ich an das Wort NEKTAR das Wort ECHSE an (das H von SEHN umklammernd). Sie wird es nicht schlucken, das weiss ich. „Aber... aber nein... das gibt’s doch nicht, was bitte ist denn eine NEKTARECHSE, hä?“ Ich bestehe auf NEKTARECHSE, argumentiere mit der Artenvielfalt. Wenn es Smaragdeidechsen gibt, warum dann nicht auch eine NEKTARECHSE? Sie besteht darauf zu googeln. Google findet unter NEKTARECHSE natürlich – nichts, nicht einmal einen einzigen winzigen Eintrag. Unter NEKTAR Leerschlag ECHSE findet Google eine Menge, natürlich aber nicht die exakte Bezeich-nung. Tannzapfenechse, Krokodilhöckerechse, Plattgürtelechse, aber keine NEKTARECHSE. Wenigstens ernähren sie sich teilweise von Nektar, findet Google heraus. Immerhin – sie gibt nach und lässt mir mein schönes Wort, wohl auch, weil es gar nicht so viele Punkte gibt – wie grosszügig. Sie verliert nicht gern, gehört zu der Sorte von Menschen, die ich nie so richtig verstanden habe. Wie kann man sich so in ein Spiel hineinsteigern? Aber welche Sorte Menschen hab ich denn schon so richtig verstanden? Jetzt gerade verstehe ich ja nicht mal mich selbst.


Sie fügt nun auch ein Wort an: SEE vor TANG, SEETANG. Eine Zeitlang sind wir beide vertieft und still. Ich SÜD, sie VERS, ich JEDEN, sie OASE, ich ORA („du wieder mit deinem Latein“ murmelt sie), sie GEIL, ich LÄNGE (beide schmunzeln), sie FOX („heisst doch Fuchs auf englisch, oder?“), ich KIEL.


Dann geschieht lange nichts, sie brütet. Ich schlage vor, ihr zu helfen, indem sie mir ihre Buchstaben zeigt, sie weigert sich, hält sogar die Hand schützend über ihr Buchstabenbänkchen. Wie immer, stur. Ich fände das spannend, gemeinsam über mögliche Wörter nachzudenken, würde sogar völlig regelfern Buchstaben tauschen, um uns gegenseitig aus der Klemme zu helfen. Sie nicht. „Bin selber gescheit“, blafft sie mich an, als ich es wage, ein zweites Mal nach-zufragen, und kaut leise Wortkombinationen wie Mantras: „OOOOOFU... UUUUUMK... NUUUUO... TOOOOOM...“. Ihr alter Minderwertigkeits-komplex, nicht intelligent genug zu sein, und meiner, mich immer nützlich machen zu müssen, damit man mich liebt, treffen sich gelegentlich in explosiver Weise. Und mir fällt ein, wie ich seit Tagen mit einer grossen Müdigkeit kämpfe und noch mehr mit meinem eigenen Anspruch, etwas Sinnvolles aus meinen freien Tagen zu machen. Und jeden Tag scheitere ich wieder vor meinem eigenen strengen Urteil. An schönen Frühlingstagen ist mein schlechtes Gewissen zum Schneiden dick, wenn ich nicht nach draussen gehe. Ich weiss, dass ich zu viel gearbeitet habe und dann manchmal in diesen Zustand gerate, wo ich alles auf die Goldwaage lege und nichts für gut genug halte, gewogen und zu leicht befunden sozusagen. Mich selber für unnütz. Ich kann darüber nicht reden, auch mit ihr nicht, so lange wir uns kennen und lieben.

 

Spiel ist Zeitvertreib, ein ausgesprochen hässliches Wort, das nach Nutzlosigkeit stinkt. Jetzt weiss ich auch, weshalb mich manche der Worte heute so anrühren.  DURST, das passt. Aber wo ist OASE, NEKTAR, TAU?


Sie seufzt. Und legt UFO vor das Wort SEHN. „Das gibt dann UFO SEHN, etwas unkonventionell, das gebe ich zu, aber ich hab deine NEKTARECHSE  auch gelten lassen, nicht?“ Nur noch wenige Buchstaben bleiben übrig. Sie besteht darauf, die Punkte zusammenzuzählen, damit sie sich auf den Endspurt vorbereiten kann, wie sie sagt. Ich 135, sie 132, also Kopf an Kopf. Doch nun geht es Schlag auf Schlag. Ich drapiere BENIMM und mache eine Menge Punkte (36), weil BENIMM viele Buchstaben hat und das auch noch auf Feldern mit doppelten Buchstabenwerten und doppelten Wortwerten. Wie gewichtig Wörter sein können, die so lapidar sind. Wann habe ich mich das letzte Mal mit BENIMM auseinandergesetzt? Sie lässt sich nicht lumpen. EMU, kurz, aber dreifacher Wortwert (15 Punkte). Es folgt AUCH und ihrem Lächeln sehe ich an, dass sie siegesgewiss ist: „Ich schlage dir WUNDEN, haha!“. WUNDEN, dreifacher Wortwert, 27 Punkte. Nun geht es nur noch um Zahlen, wie im richtigen Leben. Ich lege NEHM und hätte es am liebsten zurückgenommen, als ich sehe, wie unverschämt viele Punkte (30) es gibt. Mein Spiel ist nun wohl zu Ende, mir bleibt bloss ein einsames P übrig. Seltsam, gerade der Buchstabe P, der nur ein einziges Mal vorkommt im Spiel. Ihr Gesicht wird spitz, ihre Lippen bewegen sich – sie rechnet stumm. Ich werde wohl gewinnen, das ist jetzt ganz dumm gegangen. Ich verliere ganz gern mal zwi-schendurch, um den Frieden zu wahren. Sie quält sich ab mit ihren letzten Buchstaben S S I  N H Ö, sie will keinesfalls aufgeben. Ihr Gesicht ist schön jetzt, trotz allem, gerötet, aufgeregt, ich kann in diesem Gesicht lesen. Jetzt kippt es, ein Ruck geht durch ihren Körper, sie steht auf, legt schwungvoll schlampig ihr letztes Wort hin und sagt: „Da hast du es, du!“


SIMS steht da, schön: 21 Punkte, reicht aber nicht. Ich habe gewonnen. SIMS, und schon steht sie da, am FensterSIMS des Balkons und raucht eine Wut-Zigarette. Ich sehe, wie sie flucht, aber ich höre es nicht. Sie weiss das, und sie weiss auch, dass ich mich nicht freue, dass ich gewonnen habe. Das nützt uns beiden nichts.


Ich sitze da, lasse den Blick über die Wörter gleiten und denke nach, ob es sinnvoll ist, sich über LITZE, VERS, KIEL, LYRA, LÄNGE, WUNDEN den Kopf zu zerbrechen. Ob es sinnvoll, nützlich genug ist? Diese Wörter wieder einmal richtig ernst, also beim Wort nehmen? Und zum ersten Mal wird mir heute ein wenig leichter, da mir einfällt, dass das Wort NEKTARECHSE ganz sicher sinnvoll, nützlich und schön ist. Schon nur deshalb, weil dieses Wort nun erfunden ist, es ist da.


Sie raucht unterdessen schon die zweite Zigarette. Spätestens nach der dritten wird sie wieder zurückkommen, die Wut naturgemäss etwas verraucht, und dann wird es nur zwei Möglichkeiten geben: Dass sie ohne weiteren Kommentar in den Mantel schlüpft und mit einem knappen Ciao verschwindet oder - Revanche!

 


Gedichte Deutsch - Englisch

 

(2008-2012)

 

 

 

 

zürich, strasse

 

der kirschbaum blüht

und es fliegt seine krone stolz

in die zange des krans

 

platz machen für keine kirsche

 

 

ZURICH, STREET

 

the cherry tree blooms

and it flies its proud crown

into the pincers of the crane

 

making room for not one cherry

 

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innsbruck, bahnhof

(für Gert Jonke)

 

an einem dieser heissen sommertage

sagt ein mann zu seiner frau als der zug einfährt

 

wo ist denn nun der anfang?

am ende?

 

 

INNSBRUCK, RAILWAY STATION

(for Gert Jonke)

 

on one of these so-called summer days

a man says to his wife as the train pulls in

 

so where’s the beginning now?

at the end?

 

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innsbruck, café

(szene mit milch)

 

ist der kleine braune

nun schwarz?

 

ist der kleine schwarze

nun braun?

 

oder wird er erst braun als mélange

oder doch lieber macchiato?

verlängert?

 

wir drehen die tassen  im café central

politisch korrekt auf beide seiten

 

INNSBRUCK, CAFÉ

(SCENE WITH MILK)

 

is the little brown one

now black?

 

is the little black one

now brown?

 

or will it become brown not until mélange

or rather a macchiato also?

a long one?

 

we turn over our cups in the café central

politically correct on both sides

 

 

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innsbruck, zuhause

 

drei wochen lang feriengast

ein kater der sich tag für tag

immer mehr an mein herz schmiegt

 

als er abgeholt wird nimmt er es mit

an seinen weichen weissen kragen geheftet

 

INNSBRUCK, HOME

 

three weeks long vacation guest

a cat that day by day

snuggles himself more and more at my heart

 

as he gets picked up he takes it along

in his soft white collar attached

 

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nach so einem tag

 

nach so einem tag, dachte ich mir, als ich mit dem fahrrad nach hause fuhr, nach so einem tag muss ich aufschreiben,

 

 

...dass ich eine ganz kleine alte frau sah, die mitten in der halle des zürcher hauptbahnhofs stand, die schultern hängend, und lange auf einen gekritzelten zettel in ihrer hand starrte.

 

...dass ich neben einem sehr blonden jungen mann im zug sass, der, die augen geschlossen, kopfhörer im ohr, innig seine umhängetasche liebkoste, im rhythmus welcher musik.

 

...dass mir die freundin eine geschichte erzählte, von einem nasenring, einer frau und einem trottel, die mich so zum lachen brachte, dass ich weinte.

 

...dass in der trambahn spät nachts ein kahler mann und eine brunette frau die köpfe so zusammelegten, dass es von hinten gesehen aussah, wie wenn er ihre haare stehlen würde.

 

und dass ich sehr tief schlief, nachdem ich dies alles, vom fahrrad gestiegen, niedergeschrieben hatte.

 

AFTER SUCH A DAY

 

after such a day, I thought to myself, as I was traveling

home on my bicycle, after such a day, I must write it down,

 

…that I saw a really little old lady, who stood in the entrance to the Zurich main train station, her shoulders sagging, and for a long time she stared at a scribbled-on slip of paper.

 

…that I sat on the train near a very blond young man, who, eyes closed, headset in his ear, caressed his shoulder-bag tenderly, in the rhythm of what sound.

 

…that my girlfriend told me a story about a nose-ring, a woman and an idiot that made me laugh so much I cried.

 

…that in the tram late at night a bald man’s and a brunette woman’s, heads were so together that, seeing them from behind was as if he’d stolen her hair.

 

and that I slept very soundly I’d written all this down, as soon I dismount the bicycle.

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gemeinsam

 

frühmorgens keiner weiss vom anderen

drei männer in gerippten unterhemden stehen

an fenstern des gleichen wohnblocks

 

alle drei schauen in einen kalten tag

und prosten ihm mit wolken vor dem mund zu

 

 

COMMON

 

early in the morning no one knows from the other

three men in ribbed undershirts stand

at the windows of a the same block of flats

 

all three look into a cold day

and prost it with clouds in front of their mouths

 

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federball

 

die leichtigkeit in unsere mitte nehmen

 

ich zu dir

du zu mir zurück

 

wir spielen uns das blau in die augen

 

SHUTTLECOCK

 

the easiness in our midst taking

 

me to you

you back to me

 

we play us the blue in the eyes

 

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 bei den lächelnden füchsinnen

 

flankiert von priestern die darauf achten

dass alle genau gleich viel zeit haben vor dem schrein

um zweimal zu klatschen sich etwas zu wünschen

und dann weiterzugehen ins neue Jahr

 

 

BY THE SMILING VIXENS

 

flanked by priests who thereupon are careful

that all have precisely equal time in front oft the shrine

to clap their hands twice and make a wish

and then going further into the new year

 

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yuzu - Orange

 

I

mandarinenduft in der bahnstation

fast leer sogar die ritzen der fliesen werden

eifrig geputzt

 

II

gehälftete orangen so in die astgabeln gelegt

dass sie grünlingen ein festtagsmahl sind

 

III

ein parfum zwischen zitroneorangenpampelmuse

erfüllt den raum als ich den koffer öffne

da liegen sie – yuzu -heimgekommen mit  japan

 

 

 

YUZU - ORANGE

 

I

tangerine fragrance in the railway station

nearly empty even the scratches of the tiles become

eagerly cleaned

 

II

halved oranges layed in the branch-forkings

so that greenfinches have their feast

 

III

a perfume between citronorangegrapefruit

fills the space as I open the bag

there they lie - yuzu - coming home with japan

 

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Fasnachts-Miniatur

 

der kleine stolz der männer

mit der trommel

 

und der tod

ihr tambourmajor

schreitet beherzt vorne weg.

 

CARNIVAL MINIATURE

 

the tiny pride of the men

with the drum

 

and death

their drum-major

striding heartily ahead

 

 

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Für Anna

 

jetzt

 

wie sie mitten im Leben steht

und sich doch aufs Gehen vorbereitet

wie ich an ihr meinen Tod zu ahnen beginne

 

jetzt

 

wie wir beide in der Thymianwiese stehen

und lachen

 

jetzt

 

 

 

 

FOR ANNA

 

now

 

as she stands in the thick of life

and yet prepares herself for passing

as I begin to foresee my own death in her

 

now

 

as we’re both standing in a meadow of thyme

and laughing

 

now

 

 

 


Leben mit Nathaniel und Co.

 

© Magdalena Kauz (abgedruckt in der Tiroler Tageszeitung vom 26.3.2007)


„Ein falscher Schritt, und du bist am Ziel anderer“ (Stanislaw Jerzy Lec)

Sie ging selten nach draussen. Sie blieb im Haus. Zuhause mit Nathaniel („Nate“), zuhause mit Captain Jim, zuhause mit Bree und Lynette. Mit allen von ihnen zuhause. Am liebsten zuhause: mit allen zusammen, abwechslungsweise. Sie mochte sie alle, und am meisten diejenigen, die sie lange haben konnte. Sie verbrachte Abende mit ihnen, Nächte, Wochenenden. Lustige, wilde, verliebte, gefährliche, traurige, wonach es ihr war. Niemals war Langeweile aufgekommen, stets blieben Fragen offen, existierten heimliche Geschichten hinter den Geschichten, grosse Gefühle, Spannung.

Sie war nicht immer einverstanden mit ihren Meinungen und Taten. Jedoch musste sie sich eingestehen, dass gerade dann, wenn sie nicht einverstanden war mit gewissen Meinungen und Taten, es besonders prickelnd war. In diesem Fall musste sie ihnen unbedingte Aufmerksamkeit schenken, um ja nichts zu verpassen. Mitreden, sich beteiligen, mitten drin sein.

Sie führte sogar Buch, ein Tagebuch, in dem sie ausnehmend bewegende oder bemerkenswerte Ereignisse festhielt um eingehend darüber nachzudenken, welche Konsequenzen diese ergeben könnten und was diese Konsequenzen bedeuteten. Wichtig war es, dass sie sich im Klaren darüber war, wie sie selbst reagieren würde, wenn...

Sie hätte darüber reden können. Mit einigen ihrer Kolleginnen am Arbeitsplatz, jenen, die ihre Liebsten ebenfalls kannten. Davor nahm sie sich aber in acht. Zu kostbar waren die Gefühle, die vielen erfüllten Stunden hütete sie eifersüchtig, es waren ihre liebsten; Nate, Captain Jim, Bree und Lynette. Sie gewöhnte sich an, tagsüber zu schweigen. Sie horchte dafür genau hin bei den Pausengesprächen. Sie quittierte, bejahte, nickte. Deswegen war sie nicht unbeliebt. Eine gute Zuhörerin, sagte man. Ihre Kolleginnen kamen nie zu kurz, und ihr blieb genug Zeit zum Träumen und sich auf die Abende zu freuen.

Starb einer ihrer Helden oder wurde eine Geschichte nicht weitergeführt, trauerte sie. Manchmal wochenlang. Nichts konnte sie trauriger machen. Vor zwei Jahren, als ihr Bruder bei einem Verkehrsunfall ums Leben gekommen war, hatte sie sich während der Trauerfeier wie ein Fremdkörper gefühlt. Die Trauer, die sie umgeben hatte, hatte nicht an sie herankommen können. Nicht in sie hineinkommen. Nates Tod dagegen war ihr viel näher gegangen. Tagelang hatte sie sich in den Schlaf weinen können: Ein aufrichtiges Weinen, rein und echt und irgendwie schön.

Nachts, wenn sie vor ihnen – nein – bei ihnen sass, war sie daheim. Dann lachte sie; dann weinte sie. Nichts fehlte ihr. Und war es der Fall, dass ihr Mann früher nach Hause kam, war das nicht schlimm. Was sein Lieblingsprogramm war, wusste sie schon lange nicht mehr. Und er fragte sie nicht nach dem ihren. Überhaupt redeten sie wenig. Getrennte Schlafzimmer und in jedem Schlafzimmer einen lichtschimmerndes Viereck, der Fernseher. Genug, um glücklich zu sein.